
Inken Paletta ist freiberufliche Journalistin, Finnland-Bloggerin und ein großer Finnland-Fan. Viele von Ihnen kennen bereits ihren Finntastic-Blog, der sich mit unterschiedlichen Facetten der finnischen Kultur befasst. Ich habe mit Inken über Finnland, uns Finnen und natürlich über das deutsche Arbeitsleben gesprochen.
Du bist ein großer Finnland-Fan. Wie hast du Finnland für Dich entdeckt?
Moikka Maria, das ist tatsächlich eine lustige Geschichte. Begonnen hat alles Anfang der 2000 Jahre, mit einer Teenie-Schwärmerei für den Frontman Ville Valo von HIM und einem Faible für Metal aus Finnland. Damals ging der Hit „Join me in Death“ in Deutschland viral. Später entdeckte ich in meiner Studienzeit auf Youtube ein Video zum Song “Paratiisi„, ein Rauli Badding Somerjoki Cover, das Ville damals 1999 gemeinsam mit der Band Agents live in der TV-Show „Laulavan Sydän“ zum Besten gegeben hat.
Das Lied und auch die beiden anderen Somerjoki Covers „Jykevää on Rakkaus“ und „Ikkunaprinsessa“ sowie die Finnisch Sprache haben mich damals sofort in ihren Bann gezogen. Und so habe ich während meines Betriebswirtschaftsstudium damit angefangen, Finnisch zulernen und mich mit der finnischen Kultur zu beschäftigen.
2011 ging es nach meinem Studienabschluss für ein Auslandspraktikum bei der Deutsch-Finnischen Handelskammer für eine Zeit lang nach Helsinki. Nach meiner Rückkehr stand für mich fest: Finnland ist zu einem bedeutenden Teil meines Lebens und Helsinki zu meiner zweiten Heimat geworden. Ich wage sogar zu behaupten, dass die Zeit in Helsinki in mir meine „finnischen Seele“ geweckt hat. Mein Herz schlägt seitdem finnisch, rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr! *lächelt*
Welche Schönen Seiten siehst Du in der finnischen Kultur?
Beeindruckend an eurer finnischen Mentalität ist eure entspannte Lebenseinstellung. In Deutschland sind die Leute oft hektisch und gefühlt stets im Stress. Euer finnisches Motto „Suomessa ei ole kiire“ gefällt mir deshalb sehr, und ich versuche seit meiner Finnlandzeit auch immer ein wenig finnische Gelassenheit in meinen Alltag in Deutschland zu integrieren.
Toll ist auch eure Naturverbundenheit und das Prinzip des Jedermannsrechtes. Es ist beeindruckend, wie viel Wissen ihr über die Natur, über Beeren, Pilze, Kräuter oder Wildpflanzen habt und dass ihr Zutaten aus der Natur auch gern beim Kochen einsetzt. Ich glaube, dass aufgrund dieser starken Verbundenheit zu Mutter Natur bei euch in Finnland auch nicht überall so viel Müll herumliegt, weil es für jeden selbstverständlich ist, seinen Müll wieder mitzunehmen. In Deutschland ist das bedauerlicherweise oft anders.
Kurz gesagt mir gefällt einfach eure finnische Lebenseinstellung, diese Besinnung auf das Wesentliche und vor allem auch euer Konzept des Sisu. Ich denke, dass ihr in Finnland durch die Widerstandsfähigkeit, euren Mut und die Durchsetzungsstärke in allen Lebenslagen auch besser mit der derzeitigen Krise umgehen könnt. Und diese entspannte Art durchs Leben zu gehen, hat sicher auch einen Großteil dazu beigetragen, dass Finnland nun schon zum dritten Mal in Folge zum Glücklichsten Land der Welt gewählt wurde.
Was mich außerdem an Finnland fasziniert ist, dass trotz der starken Naturverbundenheit auch die Technik und die Innovationen nicht zu kurz kommen. Und ich mag an eurer finnischen Mentalität, dass ihr viel Wert auf ein Miteinander legt, anstatt Mitstreiter als Konkurrenz wahrzunehmen, wie das in Deutschland leider sehr oft der Fall ist.
Natürlich habe ich festgestellt, dass ihr zu Beginn erst einmal ein wenig zurückhaltend bzw. distanziert seid, wenn ihr die Person noch nicht so gut kennt, aber ihr seid gegenüber Fremden stets freundliche und hilfsbereit. Und schön finde ich, dass wenn ihr Menschen ins Herz geschlossen habt, sie so gut wie zur Familie gehören. Das gefällt mir sehr.
… und gibt es auch etwas, was du bei uns Finnen nicht verstehst?
Ohja! Dass ich zum Beispiel noch immer nicht fließend Finnisch spreche. *lacht* Und dass, obwohl ich nun schon seit 2011 die finnische Sprache lerne! Noch immer habe ich Schwierigkeiten einen Film auf Finnisch zu schauen oder ein Interview eines finnischen Künstlers komplett zu verstehen. Da denke ich manchmal schon: Verdammt das gibt es doch nicht! Vermutlich liegt es aber daran, dass es für einen Nichtfinnen einfach schwierig ist Slang bzw. Dialekt zu verstehen oder wenn zu schnell gesprochen wird. Dafür funktioniert der Small-Talk glücklicherweise schon sehr gut und das Schreiben auf Finnisch auch.
Ansonsten war ich um ehrlich zu sein, ein wenig irritiert, als ich damals erfahren habe, dass Finnland den Bau eines Atomendlagers plant und auch weiterhin auf Atomenergie setzt. Wir in Deutschland planen ja da bereits den Ausstieg. Zumindest sind bei uns schon einige alte Meiler vom Netz gegangen. Und Deutschland setzt auch sehr stark auf Erneuerbare Energien.
Und dann kann ich mich noch an ein lustiges Erlebnis damals 2011 in Helsinki erinnern. Ich hatte Tickets für die Überfahrt mit der Fähre von Helsinki nach Tallinn gebucht und wollte die E-Tickets im Copyshop ausdrucken lassen. Für ein DIN A4-Blatt hat mir die nette Dame damals fünf Euro abgenommen. Ich habe echt zunächst gedacht, das ist doch ganz sicher ein Scherz! *lacht* Aber dann machte sie mir klar, dass sie das ernst meinte. Das habe ich zunächst überhaupt nicht verstanden. Aber später erzählte mir meine Vermieterin, für sowas geht man einfach in die Bibliothek, da ist es nämlich kostenlos. *lacht* Man lernt eben nie aus!
Welches sind Deiner Meinung nach die größten Unterschiede zwischen Finnen und Deutschen?
Ich denke, dass wir Deutschen uns zu stark mit anderen vergleichen und meinen, wir müssen uns stets selbst optimieren, immer das beste Ergebnis liefern. Und viele Dinge wagen wir oft gar nicht zu tun, weil wir Angst haben, dass es schief gehen könnte. Ihr Finnen seid da, so glaube ich, etwas anders. Ihr wagt einfach einmal etwas, ohne schon im Vorfeld ans Scheitern zu denken. Für einen Finnen ist es, so glaube ich, einfach nicht so schlimm auch einmal zu scheitern. Denn es gibt immer einen Plan B, wenn Plan A nicht funktioniert.
Deutsche haben jedoch meist ein riesiges Problem damit, wenn etwas schief geht. Der Finne hingegen ist optimistisch, zieht das Positive aus der Situation und denkt sich egal, ich lerne aus meinen Fehlern. Und das motiviert euch wohl auch dazu, einfach weiterzumachen und euch nicht unterkriegen zu lassen. Ich glaube in Finnland herrscht auch nicht so ein starkes Konkurrenzdenken wie in Deutschland.

Inken Paletta fühlt sich in Finnland wie zuhause.
Du hast ein Austausch-Praktikum in Helsinki gemacht. Wie unterscheidet sich Deiner Meinung nach das Arbeiten in Finnland und Deutschland?
Eine gute Frage! Im Arbeitsalltag in Finnland ist mir aufgefallen, dass alles viel entspannter läuft. Jeder kam morgens ganz in Ruhe zur Arbeit. Dabei war es auch nicht schlimm, wenn es mal fünf nach neun wurde. Und ich glaube, es wurde da nicht nur ein Auge zugedrückt, weil ich Praktikantin war. Hier in Deutschland hatte ich bislang bei allen Jobs immer ein schlechtes Gefühl, wenn ich aufgrund des verspäteten Busses oder des dichten Berufsverkehrs einmal ein paar Minuten zu spät im Büro war.
Aufgefallen ist mir in Finnland außerdem, dass die Mittagspause akribisch eingehalten wird, und dass auch an Tagen, wenn viel zu tun ist. Und jeder lässt trotzdem rechtzeitig den Stift fallen und geht nach Hause, wenn der Arbeitstag sich dem Ende zuneigt. Auch wenn noch nicht alles erledigt ist. Hier in Deutschland sind Überstunden fast schon an der Tagesordnung und das oft unbezahlt. Was ich nicht gut finde.
Natürlich weiß ich bei all den Erfahrungen jetzt nicht, ob das in Finnland wirklich überall so ist. Ich kenne ja nur den Alltag auf dieser einen finnischen Arbeitsstelle. Wo es hingegen wohl wirkliche keinen großen Unterschied gibt, ist das Arbeitsklima. Ich hatte in Helsinki, genauso wie in Deutschland, bislang immer nette Arbeitskollegen. Mit einigen ehemaligen Kollegen aus Helsinki bin ich noch heute in Kontakt, was mich sehr freut. Es war eine tolle Zeit, die ich manchmal ziemlich vermisse, wenn ich ehrlich bin.
Heute arbeitest du als freie Journalistin. Bitte erzähle uns etwas über Deinen Beruf.
Ach eigentlich gibt es da gar nicht so viel Spektakuläres zu erzählen. Ich arbeite derzeit überwiegend als freie Lokaljournalistin für die Medien in und um Wiesbaden. Die Arbeit macht mir richtig viel Spaß. Da ich sehr viel Porträts schreibe, lerne immer wieder nette Menschen mit tollen Talenten oder Hobbys kennen. Vom singenden Tierarzt über einen Herrn, der skurrile Todesanzeigen sammelt, bis hin zu unterschiedlichen Bands aus der Region, war bereits alles dabei. Auch durfte ich auf einem Termin schon eine Runde in einem weißen Ford Mustang mitfahren. Das war auf jeden Fall ein Mordsspaß! Ich liebe Oldtimer! Und ich denke, ihr Finnen auch! *lacht* Zumindest habe ich damals in Helsinki im Sommer überall richtig tolle alte Wagen stehen sehen. Und auch damals im Sommer auf Åland sind viele solcher schicken Flitzer rumgekurvt.
Du betreibst auch einen sehr interessanten Finnland-Blog. Wie ist es, in Deutschland als Bloggerin zu arbeiten? Was motiviert Dich?
Ja genau, neben der journalistischen Tätigkeit bin ich auch Autorin meines Finnlandblogs „Finntastic – die finnomenale“ Website. Es ist einfach schön, so die Möglichkeit zu haben, mich mit Finnlandfreunden und Finnen aus der ganzen Welt zu vernetzten und auszutauschen. Natürlich lerne ich dadurch auch immer Neues über mein Lieblingsland kennen und kann so auch die Sprache anwenden und vertiefen. Ich sehe mich übrigens gar nicht unbedingt als Bloggerin, sondern viel mehr als Kulturjournalistin und eine Art Mittlerin zwischen den Kulturen. Und weil mir viel an diesem deutsch-finnischen Kulturaustausch liegt, engagiere ich mich auch aktiv in der Deutsch-Finnischen Gesellschaft.
Wie es ist, als Bloggerin in Deutschland zu arbeiten, ist gar nicht so leicht zu beantworten. Ich denke, wenn Du heute, wie viele Reise- oder Lifestyle-Blogger mit deinem Blog gutes Geld verdienen möchtest, dann ist das Bloggen auf jeden Fall harte Arbeit. Dabei spielt es keine Rolle, ob du das von Deutschland oder von Finnland aus machst.
Denn um einen interessanten Blog zu betreiben, musst du immer auf dem Laufenden sein, über die Neuigkeiten deiner Branche und/oder deines Landes informiert sein. Du solltest ein Händchen für neue Themen haben, also für spannende Inhalte, die für deine Leser interessant sein könnten. Und genau das macht mir richtig viel Spaß! So lerne ich auch immer neue Dinge über Finnland und auch neue Menschen kennen.
Die Leser meines Blogs interessieren sich besonders für das Arbeitsleben in Deutschland. Hast du gute Tipps parat für eine erfolgreiche Bewerbung oder wie man da am besten durchkommt?
Oh, es ist schon ein wenig her, als ich meine letzte Bewerbung geschrieben habe. Aber ich denke, wichtig ist, dass in der Bewerbung sichtbar wird, dass ihr der perfekte Kandidat für den Job seid. Ihr solltet eine Bewerbung daher immer genau an die Stelle anpassen und herausarbeiten, welche Fähigkeiten und Stärken ihr mitbringt, die für die Stelle wichtig sind.
Im Vorstellungsgespräch solltet ihr eure Stärken und das, was euch für die Stelle qualifiziert, noch einmal auf den Punkt bringen. Und oberstes Credo für das Vorstellungsgespräch ist: Bleibt authentisch! Denn geschulte Personaler erkennen sofort, wenn ihr Ihnen etwas vorspielt. Zudem solltet ihr das Vorstellungsgespräch auch selbst nutzen und schauen, ob ihr in die Unternehmenskultur passt. Denn wie sich Vorgesetzte euch gegenüber in so einem Vorstellungsgespräch verhalten, verrät oft bereits viel über den Führungsstil und damit auch über das Arbeitsklima im Unternehmen selbst.
Und was ich Deinen Lesern auch noch mit auf den Weg geben kann: Lasst euch von Absagen nicht aus der Bahn werfen! Seht jedes Vorstellungsgespräch, auch wenn ihr eine Absage erhaltet, als Übung und lernt daraus für die Zukunft! Aber ich vermute, dass macht ihr eh, denn das ist ja im Grunde eine finnische Tugend. Die ich übrigens wirklich toll finde!
Wie beeinflusst das Corona-Virus Deinen Arbeitsalltag?
Die derzeitige Corona-Krise hat natürlich auch mich als freie Journalistin hart getroffen. Viele Aufträge sind weggebrochen. Denn das Anzeigengeschäft, das bei vielen Lokalmedien noch immer eine Haupteinnahmequelle ist, läuft derzeit noch schlechter als sonst, denn es finden ja auch keine Events statt. Viele Medien müssen daher noch mehr einsparen und haben deshalb Kurzarbeit für die festangestellten Redakteure angemeldet. Freie Journalisten sind daher derzeit nicht wirklich gefragt.
Die Corona-Krise betrifft übrigens nicht nur den Lokaljournalismus, Anzeigenblätter und Eventmagazine, sondern tatsächlich auch alle großen Medien wie die Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Das ist eine deutsche, überregionale Tageszeitung hier im Rhein-Main Gebiet, im Grunde vergleichbar mit dem Helsingin Sanomat.
Aber ich versuche eine finnische Sichtweise einzunehmen und das Beste aus der Situation zu machen: Gerade sind auch wieder ein paar Aufträge reingekommen. Es kommen sicher auch wieder bessere Zeiten. Positiv an der derzeitigen Situation ist, dass ich gerade viel Zeit habe, mich meinem Finnland-Blog zu widmen. Ich habe angefangen, eine meiner zahlreichen Buchideen niederzuschreiben. Mal sehen, was daraus wird.
Und ich konnte mich in den letzten Wochen auch verstärkt meiner zweiten Leidenschaft, der Musik, widmen. Schaut gerne einmal auf meinem Finntastic Youtube-Kanal oder auf meinem Youtubekanal „Stimmtalent“ vorbei, dort habe ich auch ein paar finnische Coversongs hochgeladen. Ansonsten mache ich viel Sport und bin genauso wie die Finnen viel an der frischen Luft. Draußen in der Natur kommen mir übrigens sowieso die besten Ideen für neue Blogbeiträge und hin und wieder auch für eigene Songs.
2 Antworten
Guter, interessanter Beitrag! Ich kenne Inken persönlich: eine hochintelligente, super-verrückte Finnland-Fanin.
Viel Glück und Erfolg weiterhin, Inken – und natürlich auch dir, Maria!
Eberhard
Danke Eberhard!